LESEPROBE
Der Lord, der Rasenmäher und die verschwundene Lady
«Jetzt reicht es», dröhnte Miss Abbott.
Miss Abbott arbeitete im Haus von Lady Marie und Lord Irvin. Sie hatte eine laute Stimme, war eine begnadete Köchin und neigte zu Wutanfällen.
An ihrem Wutanfall war Eva schuld.
Eva war die Bedienstete des Lords. Sie hatte die Lady um einen freien Nachmittag gebeten, und dieser war ihr gewährt worden. Die Folge war, dass Miss Abbott allein in der Küche zurecht kommen musste. Das aber hatte Miss Abbott mächtig geärgert. Allein in der Küche zu werkeln – das war nun wirklich weit unter ihrer Würde, befand sie.
«Jetzt reicht es», sagte sie ein weiteres Mal zu den Pfannen und dem Geschirr in der Küche.
Sie zog ihre Schürze aus und ging zu Lady Marie, um ihr von ihrer Kündigung zu berichten.
Lady Marie war entsetzt.
«Wir haben nächste Woche hohen Besuch», klagte sie. «Wer soll denn für uns kochen?»
Doch damit stiess Lady Marie bei Miss Abbott auf taube Ohren. Mit ihrer lauten Stimme teilte sie der Lady mit, dass ihr dies herzlich egal sei.
Danach ging alles sehr schnell.
Miss Abbott packte ihre Habseligkeiten zusammen. Beladen mit einem Koffer und einer Hutschachtel verliess sie ihre frühere Wirkungsstätte. Ein Taxi fuhr vorüber. Miss Abbott hielt ihn an. Sie stieg ein und fuhr davon, ohne auch nur einen Blick zurück auf das Haus am Hyazinthenweg 47 zu werfen, in dem sie gearbeitet hatte.
Während sich Miss Abbott ärgerte und davonlief, hatte Eva ihren freien Nachmittag genossen. Leise summend und selig lächelnd trat sie in die Küche: Das Abendbrot musste zubereitet werden.
In der Küche wartete jedoch nicht Miss Abbott auf sie. Zum ersten Mal in ihrem Leben fand Eva den eleganten Lord und seine Frau in der Küche vor. Beide wirkten aufgeregt.
«Eva», schrie Lady Marie, «siehst du, was du aangerichtet hast?"
Eva wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte. Lady Marie klärte sie auf.«Uns ist die Köchin davongelaufen. Und das Ihretwegen. Nur deshalb, weil Sie unbedingt am Nachmittag frei haben wollten!»
«Meine liebe Marie», wandte sich der Lord an seine Frau, «du musst allerdings dessen eingedenk sein, dass hier eine Koinzidenz der Ereignisse zu beobachten ist, wie sie Eva per se schlechterdings nicht hat antizipieren können.»
«Schlechterdings hin und schlechterdings her», antwortete die Frau des Lords. «Und was geschieht jetzt mit dem Bischof?»
Alle schwiegen eine Weile.
«Gütiger Himmel!», seufzte die Frau des Lords. «Hast du immer noch keine Ahnung, wo sich der Bischof aufhält, damit wir ihm absagen können?»
«Leider nicht. Wir können nichts dagegen tun: Mein Vetter, der Bischof, wird uns besuchen kommen und wir müssen ihm ein Nachtessen servieren», antwortete der Lord traurig.
«Ich kann ziemlich gut kochen», meldete sich Eva zu Wort. «Wenn Sie mich an den Herd lassen, werde ich mein Bestes tun.»
«Sie wollen für den Bischof das Nachtessen zubereiten?», fragte Lady Marie.
«Das ist nett von Ihnen», sagte der Lord, «aber der Bischof ist einer der unangenehmsten Feinschmecker in, ich möchte
Jetzt sass der Bischof da und betupfte sich den Mund mit einem Tuch. Er seufzte wohlig und wartete auf den nächsten Gang.
«Ausgesprochen bekömmlich, das Essen», meinte er zum Lord. Dann rülpste er diskret und nach einer kleinen Pause wandte er sich erneut an den Lord.
«Wirklich schade, mein lieber Irvin», sagte er, «wirklich schade, dass deine Frau nicht anwesend sein kann.»
«Wirklich schade», bestätigte der Lord.
«Sie musste dingend aufs Land fahren, sagtest du?»
«So ist es. Sie musste dringend aufs Land fahren», murmelte der Lord.
«Wohin ist sie denn gefahren, wenn ich fragen darf?»
Mehrere Sekunden brauchte der Lord, bis er ein mikroskopisch kleines Fischgerät aus seinen Zähnen entfernt hatte.
«In – ähm – in die Nähe von Brighton, glaube ich.»
Der Bischof schaute ihn fragend an. Der Lord bekam davon jedoch nichts mit, denn er hielt seinen Blick gesenkt.
«Heisst das, dass sie dir nicht gesagt hat, wo sie hingeht?», erkundigte sich der Bischof.
«Es ist – ähm – ein ganz kleiner Ort, ich – ähm – kannte ihn gar nicht und musste ihn zuerst noch auf der Karte suchen.»
«Tatsächlich?», staunte der Bischof. «Ist sie Freunde besuchen gegangen?»
«Freunde – ja, Freunde», sagte der Lord, der froh war, dass ihm der Bischof eine bündige Antwort auf seine Frage in den Mund gelegt hatte.
Erleichtert war der Lord auch deswegen, weil in diesem Augenblick Eva den Raum betrat und den nächsten Gang servierte. Schweigend wandten sich die beiden Herren ihrem Essen zu, bis der Bischof schliesslich sagte:
«Ich gratuliere dir zu deiner ausgezeichneten Köchin!»
Da dieses Kompliment aus dem Mund eines Feinschmeckers kam, hätte sich der Lord darüber freuen müssen. Das tat er jedoch nicht. Stattdessen murmelte er eine Antwort, die der Bischof nicht verstehen konnte.
«Seit wann arbeitet sie für euch?», wollte dieser wissen.
«Ungefähr – ungefähr – «, begann der Lord, um es dann einzugestehen:
«Ich habe vergessen, seit wann sie bei uns ist.»
Der Bischof staunte ein weiteres Mal. Er widmete sich schweigend seinem Essen, bis er seine Befragung fortsetzte. Seine Stimme tönte besorgt.
«Ich gehe davon aus, Irvin, dass es nicht unangenehme Neuigkeiten gewesen sind, die deine Frau veranlasst haben, aufs Land zu reisen?»
«Oh nein», beeilte sich der Lord zu sagen, «es handelte sich um Masern.»
«Du liebe Güte – Masern», ereiferte sich der Bischof, «du willst sagen, dass deine Frau wegen eines Falls von Masern aufs Land aufgebrochen ist?»
«Natürlich», flüsterte der Lord, «es kann allerdings auch sein, dass es daneben noch andere Gründe gegeben hat.»
«Welche ‘anderen Gründe’ vermutest du?», fragte der Bischof.
«Vermuten?», sagte der Lord. »Ich vermute in einem gewissen Sinne nicht, aber die Lösung bot sich von selbst an.»
Mit dieser rätselhaften Bemerkung vermochte der Bischofs nichts anzufangen, und die nächsten paar Minuten widmeten sich die beiden Herr ihrem Essen. Der Bischof hüllte sich in ein majestätisches und tiefgründiges Schweigen. Schliesslich meinte er:
«Wann kommt deine Frau zurück?»
Der Lord hatte beschlossen, in die Offensive zu gehen und dem Bischof statt ausweichender Antworten klare Angaben zu liefern, auch wenn diese falsch waren.
«Morgen um 10.51 Uhr», behauptete er.
Der Bischof liess sich die Antwort durch den Kopf gehen und fast feierlich verkündete er:
«Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.»
Der Lord war klar, dass es hier keineswegs um einen Gefallen, sondern um einen Befehl ging. Mit einer kläglichen Stimme sagte er denn auch genau das, was der Bischof von ihm erwartete:
«Ich bin dir zu Diensten, mein lieber Vetter!»
«Das Zimmer im Club, in welchem ich übernachtet habe, ist unbequem, und ausserdem hat es Durchzug. Wenn du damit einverstanden bist, werde ich im Club anrufen und veranlassen, dass meine Habseligkeiten gepackt und hierhergebracht werden. Ich werde hier übernachten, und ich werde in diesem Fall auch das Vergnügen haben, deine Frau zu treffen, wenn sie um 10.51 Uhr mit dem Zug ankommt.»
Das ohnehin bleiche Gesicht des Lords wurde noch bleicher, und die Gabel, die er in der Hand hielt, fiel zu Boden. Mit einer quietschenden Stimme meinte er:
«Sehr – sehr – ähm – sehr erfreut.»
Dass der Lord keineswegs erfreut war, entging dem Bischof nicht. Er schaute den Lord verwundert an.
«Zweifellos werden wir die näheren Umstände herausarbeiten, die zu dem bemerkenswerten Auszug deiner Frau geführt haben, über den du, und daran zweifle ich nicht, ebenso erstaunt bist wie ich.»
Mit der Ausnahme eines Bischofs aus einem fernen Land, von dem die Mitbrüder fälschlicherweise behaupteten, dass seine Vorfahren Menschenfresser gewesen seien, galt der Vetter des Lords von allen Bischöfen als der unangenehmste Vorgesetzte: Er besass das Auge eines Adlers, wenn es darum ging herauszufinden, warum einer seiner Untergebenen in irgendeiner Form ein schlechtes Gewissen hatte – da gab er keine Ruhe, bis ihm nicht vollkommen klar war, welche Versäumnisse des Untergebenen zu diesem schlechten Gewissen geführt hatten.
Von dem Moment an, in welchem dem Lord die Gabel entglitten war, verstärkte der Bischof seine Anstrengungen. Nicht das kleinste Detail entging fortan seiner Aufmerksamkeit. Es war denn auch diese verstärkte Aufmerksamkeit, die ihn eine wichtige Entdeckung machen liess.
Die Entdeckung machte er, als die beiden Herren in die Bibliothek wechselten, um dort Kaffee zu trinken und Zigarren zu rauchen.
Eva brachte auf einem Tablett den Kaffee herein. Der Bischof bediente sich, und dabei fiel sein Blick auf das Gesicht der jungen Frau. Er stutzte einen Moment und schaute sich Eva genauer an.
Das hatte er vorher noch nicht getan. Eva hatte zwar das Essen serviert, doch für den Bischof war das Verspeisen eines köstlichen Mahls eine Aufgabe, der er sich mit seinem ganzen Herzen zu widmen hatte. Dabei auch noch auf jene Person zu achten, die ihm das Essen brachte, überstieg seine Kräfte.
Jetzt aber musterte er Eva eingehend und stellte fest, dass sie eine Schönheit war. Das liess ihn die Stirne runzeln.
Auch wenn der Bischof ein Bischof war, blieb er eben doch ein Mann. Seine Tätigkeit als Bischof hatte ihn immer wieder erleben lassen, wie seine Mitbrüder im Umgang mit Frauen viele, viele Verfehlungen begingen, die ihm, wie er seine Umwelt gerne wissen liess, absolut fremd waren. Jetzt musste er feststellen, dass die hübsche Frau auch ihn nicht ganz kalt liess. Und dass es dem Lord ebenso erging, war offensichtlich.
Tatsächlich benahm sich dieser in der Gegenwart von Eva eigenartig. Er liess den Kaffeelöffel fallen, hob ihn umständlich wieder auf und lächelte Eva auf eine dümmliche Art und Weise an.
Der Bischof hätte schwören können, dass Eva das Lächeln erwiderte und dabei leicht errötete.
Eva verliess den Raum und der Bischof widmete sich seinem Kaffee. Er war tief in Gedanken versunken, und erst nach einigen Minuten der Stille meinte er:
«Ich habe dieses Mädchen vorher noch nie gesehen.»
Der Lord hatte vor sich hingeträumt und schreckte auf. Selbstverständlich entging auch dies dem Bischof nicht. Er fragte sich, was dem Lord durch den Kopf gegangen war, und sein scharfer Verstand zählte Zwei und Zwei zusammen.
«Nein, ich – ich glaube nicht, dass du es vorher schon einmal gesehen hast», stammelte der Lord endlich.
«Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihre Anwesenheit gutheissen kann.»
Der Lord schluckte leer.
«Sie wird uns demnächst verlassen», liess er verlauten.
«Aha», sagte der Bischof. «Und was ist der Grund dafür?»
«Oh – ah – bloss eine – eine kleine Meinungsverschiedenheit», erklärte der Lord. «Meine Frau schätzte ein geringfügiges Vergehen als schwerwiegend ein. Deshalb wird Eva gehen müssen.»
«Obwohl dies deinem Begehren nicht entspricht», meinte der Bischof, wobei es ihm gelang, das Wort ‘Begehren’ ganz leicht zu betonen.
«Durchaus nicht», gestand der Lord ein. «Ich war dagegen, dass wir uns von ihr trennen.»
«Geschah dies kürzlich?»
«Erst an diesem Morgen», meinte der Lord unvorsichtigerweise.
«Unmittelbar bevor sich deine liebe Frau auf diese so merkwürdige Reise nach Brighton aufgemacht hat?»
Als der Bischof die Frau des Lord erwähnte, schien sich dieser erneut ausgesprochen unwohl zu fühlen.
«Eh – mehr oder weniger, ja.»
Der Bischof schaute den Lord in einer Art und Weise an, die in keiner Weise dazu geeignet war, dessen Verlegenheit zu mildern.
Für den Rest des Abends sagte der Bischof wenig, überlegte aber viel. Bevor er abe zu Bett ging, machte er eine merkwürdige Bemerkung:
«Übrigens, Irvin: Ich pflege die Türe zu meinem Schlafzimmer während der Nacht offen zu halten. Geräusche im Haus stören mich beim Schlafen. Gute Nacht.»
Der Lord reagierte nicht auf diese Bemerkung. Der Bischof aber hätte auch hier schwören können, dass eine feine Röte das Gesicht des Lords überzog.
Die Herren sassen beim Frühstück. Beide schwiegen. Der Bischof sass da wie ein Mensch, der mit sich im Reinen ist. Dem Lord dagegen war anzusehen, dass er sich nicht wohl fühlte.
Er spielte mit seinem Teelöffel und machte ausgesprochen unbeholfene Versuche, ein wenig Speck zu schlucken. Der Bischof dagegen trank zwei bis zum Rand gefüllte Tassen Kaffee, fiel gnadenlos über den Speck her und ass so viel Toast, wie der Toaster nur herzugeben vermochte.
Nach dem Frühstück ergriff der Bischof die Times, zog sich in die Bibliothek zurück und hielt ein achtsames Auge auf die Uhr. Er wartete auf das Eintreffen von Lady Marie.
Der Lord andererseits murmelte etwas von einer Schneckenplage im Garten und rannte fast aus dem Zimmer - worin der Bischof ein weiteres Zeichen dafür sah, dass der Lord ein schlechtes Gewissen hatte.
Um exakt 10.30 Uhr kehrte der Lord zurück. Der Bischof hörte, wie er eine Weile vor der Bibliothek verweilte. Als er eintrat, hielt er in seiner Hand ein Telegramm. Ohne weitere Vorrede las er dem Bischof vor, was in diesem Telegramm stand:
«Es ist etwas dazwischengekommen – erwarte mich nicht vor morgen. Marie.»
«Hat deine Frau dies geschickt?», wollte der Bischof wissen.
«Meine – eh – Frau, ja», antwortete der Lord.
«Ich muss zugeben, dass mir das alles ein wenig merkwürdig erscheint», meinte der Bischof. Er starrte den Lord an.
«Keineswegs, keineswegs», beeilte sich dieser zu sagen. «das kommt oft vor, wenn sie - abwesend ist. Ich … «
Unter dem strengen Blick des Bischofs stand der Lord wie ein begossener Pudel da. Dann knüllte er das Telegramm zusammen, warf es gegen das Feuer, murmelte diesmal etwas davon, dass im Garten eine Fliegenplage aufgetreten sei, um die er sich kümmern müsse und verliess den Raum.
Zurück blieb der Bischof, dem auffiel, dass der Lord das Telegramm gegen den Rost vor dem Feuer geworfen hatte. Dort jedoch war es von einem der Stäbe des Rostes abgeprallt und auf den Boden gefallen.
Der Bischof erhob sich langsam und schritt mit den gemessenen Schritten eines Mannes, der seine Pflicht tut, auf das Telegramm zu. Er hob es auf, faltete es auseinander und las es.
«Bedaure, heute nicht kommen zu können. Melde mich später.»
Dreimal las der Bischof den Text durch, bis er seine Aufmerksamkeit dem Datum des Telegramms zuwendete.
Das Telegramm war 10 Tage alt.
Mehrere Minuten stand der Bischof regungslos da. Er dachte nach und fällte einen Entscheid. Er warf das Telegramm ins Feuer, wo es dieses Mal endgültig verbrannte und läutete nach Eva.
«Sagen Sie bitte dem Lord, dass ich ihn sprechen möchte», wies er Eva an.
Der Lord kam, und der Bischof schaute ihn an. In seinem Gesicht spiegelte sich jene Mischung aus wohlwollender Güte und unerbittlicher Strenge, wie sie bei Geistlichen oft zu beobachten ist, wenn sie es mit sündigen Gemeindemitgliedern zu tun haben.
«Irvin», verkündete der Bischof feierlich, «Irvin, ich habe beschlossen, noch einige Tage hierzubleiben, bis deine Frau zurückkommt und ich mich vergewissern kann, dass sie wohlbehalten bei dir angelangt ist.»
Der Bischof betonte das Wort ‘wohlbehalten’ ganz leicht, und ohne vom Lord eine Antwort zu verlangen, vertiefte er sich wieder in die Times.
Der Lord wankte aus dem Zimmer. Seinem Gesicht war abzulesen, dass er verzweifelt war.
Rund eine Stunde später war der Bischof bei seiner Lektüre der Times bei den Todesanzeigen angekommen. Sie näher zu studieren war ihm jedoch nicht vergönnt. Eva betrat das Zimmer. Ihre heitere Miene fiel dem Bischof sofort auf und bestätigte seinen Verdacht, dass im Hause des Lords etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
Auf einem Tablett brachte ihm Eva eine Notiz, die in der Handschrift des Lords gehalten war.
«Bleiben Sie hier, solange ich die Notiz lese», befahl der Bischof. Er hatte das Gefühl, dass er sich in Kürze mit der jungen Frau würde auseinandersetzen müssen.
Dann las er die Notiz.
«Mein lieber Vetter», war dort zu lesen, «ich bedaure zutiefst, dass eine unerwartete Einladung jener so angenehmen Zeit ein Ende gesetzt hat, die ich in Deiner Gegenwart verbringen durfte. Mit den Einzelheiten des Literaturprojektes, das meinen sofortigen Aufbruch bedingt, möchte ich Dich nicht belästigen, und auch nicht mit den Gründen, die dazu führen, dass ich möglicherweise eine oder gar zwei Wochen abwesend sein muss. Ich bitte Dich, meine Entschuldigung für die plötzliche Abreise anzunehmen.»
Der Bischof warf einen Blick auf Eva, die jedoch keine Miene verzog. Dann fuhr er mit der Lektüre fort.
«Ich habe auch zu meinen Bedauern darauf verzichten müssen, mich persönlich von Dir zu verabschieden, aber ich versichere Dir, dass die Ursachen, die zu meinem plötzlichen Aufbruch führten, dergestalt sind, dass keine Zeit für eine persönliche Verabschiedung hat bleiben können.»
Der Bischof schnaubte und las weiter.
"Du findest einen Zug, der St. Pankreas um 12.55 verlässt. Soweit ich mich erinnern kann, befindet sich in dem Zug ein Speisewagen (auch wenn, wie ich feststellen muss, der Fahrplan es unterlassen hat, darauf hinzuweisen), und dass es einen Speisewagen hat, beruhigt mein schlechtes Gewissen, weil ich dir nichts zum Essen anbieten kann.
Mit den allerbesten Wünschen an dich und deine Familie
Irvin.»
Jetzt blickte der Bischof auf.
«Dann ist der Lord also weggegangen?», fragte er Eva überflüssigerweise, wobei seine Stimme vor Verärgerung vibrierte.
«Ja, das ist er», meinte Eva.
Der Bischof sah Eva an.
«Er teilt mir mit, dass er nicht einmal Zeit findet, sich von mir zu verabschieden.»
«Ja, das teilt er mit», meinte Eva und machte einen kleinen Knicks.
«Aha!», rief der Bischof aus, der nun sehr wütend war. «Dann haben Sie also gewusst, was der Lord im Brief schreibt!»
Eva wich der Frage geschickt aus:
«Ich habe es aus dem erraten, was Sie eben gesagt haben.»
Der Bischof verabscheute Leute, die seinen Fragen auswichen.
«Tatsächlich?», meinte er. Er schaute Eva in die Augen. Eva schaute ihm in die Augen. Eva senkte als erste den Blick. Dieser kleine Sieg über die junge Frau erfreute den Bischof und mit einem milden Lächeln meinte er:
«Und obwohl er so eilends wegmusste, fand er Zeit, diesen Brief zu schreiben?»
Eva schwieg.
«Danke, das genügt», meinte der Bischof mit einer Stimme, die vor Sarkasmus nur so triefte, «danke, Sie können gehen.»
Fast eine Minute stand der Bischof da und überlegte. Dann runzelte er die Stirne und ging zum Telefon. Er nahm den Hörer in die Hand, wählte eine Nummer und sagte mit einer Grabesstimme:
«Verbinden Sie mich mit Scotland Yard."
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